Die Kunst der Berührung – Sinnliche Intimität
Die Kunst der Berührung ist sinnliche Intimität. Dass wir Menschen meistens gerne berührt werden und auch selber gerne Berührungen schenken, ist uns allen vertraut und bekannt, aber warum ist Berührung so wichtig und was macht eine angenehme Berührung aus? Diese und ein paar andere Aspekte möchte ich in diesem Artikel beschreiben.
Warum ist Berührung so wichtig?
Ein zentraler Aspekt im Leben eines Menschen und dementsprechend in einer Liebesbeziehung ist Berührung. Körperkontakt ist ein fundamentales Bedürfnis des Menschen. Von Kindheit an sind wir darauf angewiesen. Durch regelmäßige, liebevolle Berührungen fördern die Eltern die Entwicklung des Kindes und die Eltern-Kind-Bindung. Berührt man ein Baby nicht ausreichend, würde es nicht überleben können. Auch ‚große Babies‘, wie ich manchmal uns Erwachsene nenne, brauchen viel Berührung.
Berührung aktiviert unser Gehirn
Berührung ist u.a. am Anfang unseres Lebens deshalb wichtig, weil durch die Aktivierung der Hautrezeptoren wichtige Sinnesreize ans Gehirn weitergeleitet werden. Diese wiederum fördern die Bildung von Synapsen. Durch Synapsenbildung ist überhaupt erst bewusste Selbstwahrnehmung möglich. Wird ein Baby – oder bestimmte Bereiche seines Körpers – nur wenig berührt, wird ihm sein Körper – oder ein Teil davon – ähnlich fremd bleiben wie ein unbekanntes Land. Und zwar so sehr, dass es ihm nicht einmal klar ist, dass da überhaupt unbekanntes Land ist, weil ihm auch dafür das Bewusstsein fehlt. An der Stelle der angenehmen Körperempfindungen wird nur eine Leere empfunden.
Das ‚fremde Land‘
Diese Leere wird oft von Frauen berichtet, die ihre Scheide als ‚fremdes Land‘ bezeichnen. Dem entsprechend können sie keine angenehmen Empfindungen damit assoziieren bzw. erleben. Durch fehlende Selbstberührung sind die Synapsen gar nicht erst entstanden, die eine bewusste Wahrnehmung erlauben könnten. Das Wissen darüber, was erwünscht und was nicht, was erotisierend wirkt und was die Erregung verhindert, ist nicht vorhanden.
Was macht eine angenehme Berührung aus?
Berührungen, die wir als angenehm empfinden, lösen seelisches Wohlbefinden aus. Weitere positive Gefühle wie tiefe Entspannung, Nähe, Geborgenheit, Verschmelzung können entstehen . Hingegen lösen unangenehme Hautkontakte negative Gefühle wie Abwehr, Lustlosigkeit und Wut aus. Aber wann ist eine Berührung angenehm? Wie soll sie sein, damit sie als angenehm empfunden wird?
Wir erleben eine Berührung als angenehm, wenn sie der Präsenz der berührenden Person entspringt – d.h., wenn der Mensch, der uns berührt, uns vollständig zugewandt ist. Diese Berührung fühlt sich nicht ‚mechanisch‘ und leer an. Sie entspringt dann einer liebevollen, achtsamen Zuwendung.
Mechanische und leere Berührungen
Dieser Unterschied wird durch ein Beispiel verdeutlicht: Wir sitzen beim Fernsehen auf dem Sofa und sind ganz vertieft in das laufende Programm. Dabei streichelt die eine Person wie selbstvergessen die Schulter der anderen, gleichmäßig, monoton, mechanisch. Das ist auch Berührung. Sie wird aber seltener als angenehm empfunden vor allem im Vergleich zu einer aufmerksamerer Form der Berührung. Würde sich in der gleichen Situation der*die eine Partner*in der anderen Person direkt zuwenden und die Schulter streicheln, wäre die Berührung wahrscheinlich angenehmer. Die berührte Person würde sich dank der größerer Präsenz wohler fühlen.
Als angenehm erlebte Berührungen
Eine Berührung wird meist als angenehm erlebt, wenn sie der Präsenz der berührenden Person entspringt, d.h., wenn der Mensch, der uns berührt, ganz da, uns vollständig zugewandt ist.
Ein kleiner Selbstversuch lässt den Unterschied spüren: Lese den Artikel weiter und streichele für ein, zwei Minuten währenddessen deinen Unterarm. Lese nun diese kurze Anleitung durch und schenke dann deinem Unterarm einige Atemzüge lang vollkommene Aufmerksamkeit: Schaue hin, halte ihn in deiner Hand, erfühle mit deinen Fingerspitzen die Beschaffenheit der Haut und fahre dann langsam mit der Handfläche auf ihm auf und ab. Spürst Du den Unterschied?
Die Präsenz bei dem was wir gerade tun, macht den Unterschied! Dabei kann die Berührung, die wir schenken, zart und leise wie ein Schmetterling sein aber auch intensiv und kraftvoll wie ein stürmischer Tag. Bei unserem Gegenüber mit all unseren Sinnen da zu sein, ist ein Schlüssel für angenehm empfundene Berührungen.
Die ergebnisoffene Absicht
Ein zweiter Aspekt ist die so genannte ergebnisoffene Absicht in unserer Berührung. Damit gemeint sind Berührungen, die kein festgelegtes Ziel haben, das wir als Gebende erreichen möchten. Selbst dann nicht, wenn wir mit einer Absicht in die Begegnung gehen. Wir können uns von Wünschen und Erwartungen nicht komplett frei machen. Wir können aber für die Antwort offen bleiben, die von unser Gegenüber kommt.
Unsere Aufmerksamkeit sollte empfänglich bleiben, damit wir erspüren können, wie die andere Person auf unsere Berührungen reagiert: sinnlich entspannt, lustvoll berührt oder erschöpft und müde. Als Berührende gehen wir in Körperkontakt zum Gegenüber. Unsere Berührung ist ein offenes Gewahrsein, ein Angebot, auf das die andere Person frei antworten kann: Wir berühren, um Kontakt herzustellen, ein gutes Gefühl zu geben, zu halten und Geborgenheit zu schenken, sinnlich zu erwecken oder sexuell zu erregen. Trotzdem sollte das Ergebnis unserer Berührung so ergebnisoffen wie möglich bleiben.
Berührung lernen
Zum Schluss darf selbstverständlich nicht vergessen werden, dass jeder Mensch diesen besonderen Schatz – die Kunst der Berührung – quasi per Geburtsrecht in sich trägt und er nur darauf wartet, gefunden zu werden und in vollem Glanz zu erstrahlen. Bei einigen Menschen liegt er bereits poliert an der Oberfläche. Bei anderen ist er noch im Inneren verborgen wie ein Rohdiamant, der noch an die Oberfläche befördert werden muss, um zum Brillanten geschliffen zu werden. Jedoch tragen alle Menschen das Potenzial und die Requisiten in sich, liebevoll, sinnlich, erotisch und intensiv zu berühren und berührt zu werden.
Wenn Du kein Naturtalent in Sachen Berührung bist, wird es sicherlich nicht schaden, sich schlau zu machen und einen Kurs in sinnlicher achtsamer Berührung zu besuchen. Dein*e Partner*in wird sich sicherlich dafür bedanken! Hier findest Du mehr über das Thema: Tantra Selbsterfahrung.
Durch Berührung eine emotionale Brücke aufbauen
Durch Präsenz und Absichtslosigkeit in der Berührung errichten wir das, was ich gerne ‚emotionale Brücke‘ nenne. Damit gemeint ist die emotionale Verbindung, die durch Körperkontakt hergestellt werden kann, die die Tür zu mehr, zum Beispiel intensivem und lustvollem Sex, öffnen -vorausgesetzt, diese wichtigen Spielregeln werden beachtet:
- Also ganz bei der Sache zu sein, wenn wir den*die Partner*in berühren und
- Offen zu bleiben für die Richtung, die diese Begegnung nehmen wird, auch dann, wenn wir vielleicht nicht das bekommen, was wir erhofft haben.
Auf diese Art bleiben wir in gutem Kontakt mit dem*der Partner*in und sicherlich macht dieser Kontakt die nächste Begegnung angenehmer und möglicherweise für beide erfüllender.
Mehr über Berührung in Achtsamkeit kannst Du in diesem Blog lesen: Sensate Focus, Besseren Sex durch Achtsamkeit.
Wenn Du wissenschaftliche Ergebnisse über dieses Thema lesen möchtest, findest Du hier meine Masterarbeit über dieses Thema.